ein Mann tanzt . .

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Ein kleiner Zeitungsartikel....

geschrieben von Helge  am 28.06. um 23:26:19
gestern am 27.06.01 kam im Kulturteil des Reutlinger Generalanzeiger (www.gea.de), der größten Zeitung im Landkreis Reutlingen, folgender Artikel über den ich mich sehr gefreut habe und der, wie ich finde, einfach sehr sehr gut geschrieben (Sabine Landau) ist! Ich freue mich über Eure Meinung zu dem Artikel (nur bitte keine übertriebene Detaildiskussion über Anzahl der Prüfer, Prüfungsablauf, Anzahl Mädchen im Vergleich zu Jungs, etc., das stimmt natürlich nicht immer genau, ich habe teilweise halt auch nur geschätzt. Das interessiert ja auch die wenigsten Zeitungsleser!

Viele GrüßeHelge

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Kultur / 27.06.2001 --------------------------------------------------------------------------------

Durch die hohen Fenster fallen Sonnenstrahlen, die helle Vierecke auf den grauen Boden werfen. Weiß getünchte Wände reflektieren das Licht. Mitten im Raum sind zwei hölzerne Ballettstangen-Elemente aufgebaut. Ein Spiegel, ein Klavier. CDs liegen um die Musikanlage verstreut. Eleganz liegt in der Luft, die karge Atmosphäre eines Ballettsaales, der den Tänzerinnen und Tänzern schon längst zur zweiten Heimat geworden ist.

An der Stange steht der 19-jährige Helge und reckt sein muskulöses Bein zu einer Arabesque. »Streck dein Knie mehr! Schultern runter, Hüfte runter! Und das Bein noch höher, höher, höher!«, bellt es durch die Stille. »Ach, Helge, so geht das doch nicht!« Ein zierliches Persönchen mit hochgestecktem, dunklem Haar eilt herbei: Helges langjährige Ballett-Lehrerin Renate Mach. Mit ein paar schnellen Griffen biegt sie seinen Fuß in Form, seine Arme, drückt an seinem Kreuz herum und klatscht dann entschlossen in die Hände. »Nochmal!« Der junge Mann in schwarzem Ensemble aus Body und enger, schwarzer Trainingshose strengt sich an, seine Muskeln zittern, er beginnt zu schwitzen - aber er bleibt stehen, senkrecht, aufrecht, jede Faser des Körpers zum Zerreißen angespannt. »Jaaa, so ist's gut. Halt den Bodenkontakt!«

Hartes Auswahlverfahren

Seit zehn Jahren tanzt Helge - seit sechs Jahren lässt er sich in der Ballettschule von Renate Mach ausbilden. »Als ich etwa sechzehn war kam der Punkt, an dem ich dachte: entweder du machst das ganz oder gar nicht.« Er entschied sich für ganz - und trainierte ab diesem Zeitpunkt bis zu fünf Mal pro Woche. Vor kurzem hat der Gymnasiast die Aufnahmeprüfungen an mehreren renommierten Akademien in Deutschland, unter anderem in Dresden an der »Palucca-Schule« und an der Staatlichen Ballettschule Berlin geschafft. »Du kommst an und kriegst erst Mal eine Nummer angeheftet«, erzählt das Tanz-Talent über das Prüfungsverfahren. »Dann wird relativ normal trainiert - Modern Dance, Ballett und Improvisation - allerdings vor einer zehn- bis fünfzehnköpfigen Prüfungskommission, die jede(n) genau beobachtet.« Die Jury schaut auf Körper, Musikalität, Technik und Beweglichkeit der Bewerber. 90 Minuten lang. Die, die anschließend zu einem »Gespräch« gebeten werden - in Dresden beispielsweise sechs von 34 Kandidaten - und zudem die Untersuchung beim Orthopäden bestehen, haben es geschafft. »Eine gesunde Wirbelsäule ist das allerwichtigste. Manch eine(r) ist daran schon gescheitert - trotz Begabung.«

Helge nicht. Er kann sich jetzt ausssuchen, wo er seine Ausbildung beginnen möchte. »Wahrscheinlich gehe ich nach Berlin, dort geht's am 4. September los. Oder nach München an die Heinz-Bosel-Stiftung, wenn's klappt - da stelle ich mich erst nächste Woche vor.« Aber egal wohin es ihn ziehen wird: fürs Tanzen lässt der Zwölft-Klässler sogar das Abitur sausen. »Die künstlerische Leiterin der Berliner Schule hat mir dazu geraten. Ich sei so talentiert, dass sie es vertreten könne, mir das nahezulegen, hat sie gemeint.«

Ein schönes Kompliment - und der Lohn für viele Jahre harte Arbeit und Stress. Denn einfach hatte es der sensible junge Mann nie, in einem Hochleistungssport, der von Frauen, Konkurrenzkampf und Ehrgeiz dominiert wird. Um sich seine tänzerische Ausbildung überhaupt leisten zu können, jobbte er bei einem Kieferorthopäden, wo er das Praxis-Netzwerk verwaltete, dann für eine Stuttgarter Künstleragentur. Er gestaltete Homepages für bekannte Profitänzer, darunter Ivan Cavallari oder Margaret Illmann. Er zog mit siebzehneinhalb Jahren in eine eigene Wohnung nach Reutlingen - weil seine Ballettlehrerin ankündigte, das Training vielleicht später legen zu wollen - er wäre mit öffentlichen Verkehrsmitteln dann nicht mehr nach Honau zurückgekommen. Er gab das Eiskunstlaufen, das er seit seinem achten Lebensjahr praktizierte, auf, um sich ganz dem Tanzen widmen zu können und verlor viele Freunde - zu wenig Zeit. Aber er biss sich durch. »Das lernst du beim Ballett wirklich gut. Man ist eigentlich ständig am Kämpfen.«

Sind alle Tänzer schwul?

Von Seiten der Eltern bekam Helge zwar finanzielle Unterstützung, konnte aber kein sonderliches Interesse für sein Hobby erwarten. »Ärger gab's allerdings nie. Mein Stiefvater hatte keine Probleme damit, dass ich ins Ballett gehe. Es kamen nie blöde Kommentare.« Das, sagt Ballettlehrerin Renate Mach, ist keineswegs die Regel. »Mein Sohn soll ein richtiger Mann werden und keine Schwuchtel« - das sei die Meinung vieler Väter, die ihren Söhnen nicht selten das Tanzen verbieten. Unter anderem deshalb hat die Ballett-Branche mit Sorgen um den männlichen Nachwuchs zu kämpfen. »Tänzer werden Hände ringend gesucht, was aber nicht heißt, dass man weniger Leistung bringen muss«, weiß Helge und fügt nebenbei grinsend hinzu: »Ich persönlich kenne übrigens nur etwa drei Tänzer - inklusive mir selbst - die nicht schwul sind. Ganz so falsch ist diese These also nicht.«

Überraschenderweise waren es vor allem die Ballettschülerinnen, die Helges Nervenkostüm auf eine harte Probe stellten. Doch die Demütigungen früherer Zeiten, als die Mädchen in der Pubertät und er das Alien vom anderen Stern war, hat der sympathische Blondschopf mittlerweile verdrängt. »Ich weiß nur noch, dass sie mich teilweise wirklich böse attackiert haben, meine Sachen versteckt haben und so.« Jetzt machen die jungen Nachwuchstänzerinnen große Augen und bewundern den begabten Ausnahmefall mit ehrlicher Aufrichtigkeit.

Nach Helges Schätzung kommt beim Ballett auf 100 Mädchen ein Junge. Da wundert es auch nicht, dass er selbst der einzige männliche Schüler an der privaten Ballettschule von Renate Mach ist. »Naja, theoretisch gibt's noch einen, aber der hat sich seit drei Monaten hier nicht mehr blicken lassen, weil er mit seinem Studium voll und ganz ausgelastet ist.« Der »eine« heißt Martin Elianto und ist Helges bester und vielleicht auch einziger enger Freund. »Mit ihm kann ich wenigsten über meine große Passion reden - das Ballett.«

Martin war selbst für ein Jahr Profitänzer in seinem Heimatland Indonesien - als er allerdings zwischen einem Chemie- und einem Ballett-Stipendium wählen konnte, entschied er sich für »den sicheren Weg«, wie Helge es nennt und kam nach Deutschland, um sich an der Fachhochschule Reutlingen mit Molekülen und Atomen zu beschäftigen.

Verletzungen und kein Ende

So entscheiden viele. Denn bis zum großen Durchbruch schaffen es nur ein bis zwei Prozent aller Ballettschüler - laut Helge. Eine ziemlich abschreckende Zukunftsaussicht. »Die meisten verlieren vorher das Interesse.« Überhaupt müsse jemand, der seine Tänzerkarriere verwirklicht, eine gehörige Portion Idealismus mitbringen. »Die schnelle Kohle ist mit dem Beruf nicht zu machen.«

Warum dann also überhaupt Ballett - und das als Junge? »Ich hab einfach Spaß an der Bewegung zur Musik und an der körperlichen Herausforderung - die von Laien übrigens häufig unterschätzt wird. Ballett-Tänzer sind in erster Linie zwar Künstler, aber eben auch Sportler.« Jeder, der Helges lange Verletzungs-Liste kennt, glaubt das sofort - denn klassisches Ballett verschleißt den Körper ungemein, wie der 19-Jährige zugibt, weil die grazilen Bewegungen alles andere als natürlich sind. Und er spricht aus eigener Erfahrung: Chronische Achillessehnen-Entzündung, angerissenes Kreuzband, Hexenschuss, Kapselverletzung, viele, viele Zerrungen. Helge ist Dauergast bei Orthopäden und Krankengymnasten. »Aber beim Ballett muss man halt Schmerzen ertragen können.«

Seit längerem ist der junge Mann strenger Vegetarier: »Inzwischen auch aus Überzeugung. Ich esse sehr viel, versuche aber, mich gesund zu ernähren.« Müsli, Vollkornbrot, viel Obst. »Pommes und Süßes gibt's bei mir nur äußerst selten, das schlägt sofort auf die Kondition.« Helge hat seinen Körper über die Jahre kennen gelernt und weiß, »was er braucht und was ihm gut tut.« Doch das Risiko tanzt immer mit: denn als Profi ist man auf einen funktionierenden Körper mehr als angewiesen. Er ist die Voraussetzung für eine Karriere. »Wenn dein Körper nicht mehr will, ist es aus.«

Helge möchte das Wagnis eingehen. Sein Traum: Solo-Tänzer an einem Staatstheater zu sein. Ein guter, natürlich. Einer, der über die perfekte Technik hinaus auch künstlerischen Ausdruck transportiert. Sabine Landau



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